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LITERATURGESCHICHTLICHES
Eine kurze Einführung: Leben und Werk

Dauthendey_Gesamtwerk

Max Dauthendey - über sich - Werdegang
Der werdende Dichter
Max Dauthendey über sich und seinen Weg zum Dichter
Max Dauthendey über Schöpfungskraft, Liebe, Gedanken, Gefühle
Max Dauthendey über Dichtkunst, Sprache, Rhythmus, Versmaß

Max Dauthendey: vita et opus
(Vorwort von Max Jungnickel aus dem Buch ´Raubmenschen`)

Immer Lust an Lust sich hängt

Alle Dinge können sehen.
Sag nicht, daß sie blind dastehen.
Sag nicht, daß sie dunkel gehen.
Häuser, Bäume, Wege, Wind,
Stühle, Tische, Bett und Spind,
alle Dinge sehend sind.

Alle Dinge können denken.
Nicht nur Stirnen Geist dir schenken,
Alle Dinge Geister lenken.
Kleiner Mücken grauer Zug,
Spinnwebfaden leis im Flug;
jeder Grashalm denkt genug.

Und es lieben alle Dinge.
Wie die Vögel mit Gesinge
Liebt sich alle Welt im Ringe.
Eines hin zum andern drängt,
Jedes seine Lust sich fängt.
Immer Lust an Lust sich hängt.
(aus: Lusamgärtchen)

Der philosophische Gehalt in den Schriften Max Dauthendeys
von Michael Gallmeister, mit bestem Dank f. frdl. Genehmigung.

... Geist ist aller Welltensame, Geist ist nicht der Mensch allein.
Geist ist Staub. Und Geist ist Stein,
Geist ist Laub und Holz und Bein.
Alles Dasein, wie es heißt,
alles Dasein, das ist Geist ...
Aus dem Lied der Weltfestlichkeit über "Geist" und "Weltgeist" im Sinne des Panpsychismus (wiki-extern)

Dein wandernd Haus

Sieh hinaus, wohin wandert Dein Haus?
An den Fenstern zieht der Wolken verflüchtend Gewimmel,
Als wandert Dein Haus vorbei am beweglichen Himmel;
Als wandert Dein Haus querfeldein in die gebräunten Ährenfelder,
Über die wallenden Linien der Flüsse, über die ungezähmten Wälder,
Und in Dein wandernd Haus sieht der wandelnde Himmel herein.
Sagst, Dein Haus sucht das Ende der Tage, sucht wolkenberändert
Nach dem Baum, an dem sich kein Blatt mehr verändert.
Und denke Dir aus, Dein Haus bliebe stehen!
Die Tage würden nicht mehr, wie Goldschaum
Leicht sich ablösend, an seinen Wänden fortgehen;
Dein Haus bliebe, ohne zu schallen, am Abgrund vom toten Raum;
Der Sommer ließe sich immer steifgrün durch die Fenster ansehen;
Kein Blatt würde fallen, kein kühn Ereignis geschehen,
Kein Hunger Dich würgen, keine Träne Dich anflehen; -
Glaub mir, Du jagtest die Ruhe aus Deinem Haus.
Du sehntest Dich nach dem Herbstgesaus,
Nach Schatten der Zeit, nach der Winterbitterkeit,
Nach dem rüttelnden Streit der Taten und vielem andern.
Und von der schüttelnden Sehnsucht, die Du verflucht,
Käme Dein Haus von neuem ins Wandern.

Max Dauthendey - ein Autor der ´Moderne`

Visuelle Wahrnehmung und Synästhesie bei Max Dauthendey

Auszug aus Brief nach Besuch bei Richard Dehmel, Berlin, 1893:

... Er las mir ein Gedicht vor... Ich konnte vor Aufregung nicht ins Bett.Ich arbeitete bis morgens fünf Uhr und schrieb die Gesänge des "Herzblutes" für mein Drama "Sehnsucht".... und habe nun eine Art Broschüre geschrieben "Zur Schulung des Intimen". ... Es behandelt vor allem die Farbenliteratur, die Erregung aller fünf Sinne, Farbe, Ton, Geruch usw. als Beeinflussung unserer Stimmung....und nun stetig mit dem Festhalten dieser ganz intimen Erregung beschäftigt bin: jedem Lichtreflex, jedem Geruch auf der Straße, jeder Empfindung von kühl oder warm oder lau, wie das stets die Stimmung schwanken macht, wie wir eigentlich mit den Stimmungen, Erregungen der Farben, Töne um uns leben und direkt nur als Farbe, als Ton leben - dies Doppelleben der Farbe draußen und der Farbe der Erinnerungen (aus denen sich die momentane Stimmung zusammensetzen kann) — , und wie die Empfindungen von draußen mit denen in uns in Wechselwirkung stehen. Bald siegt der Eindruck von draußen. bald ist die Erinnerung oder Stimmung in uns stärker und kann Häßliches sehen, unangenehme Töne vertragen, durch die wir ein andermal umgewühlt und umgestimmt werden. Diese Beobachtung, dieses Arbeiten nur mit diesem Intimen, das, glaube ich, wird die Literatur der Zukunft sein. Hansson (wiki) hat es schon begonnen, aber ich meine es noch bewußter, noch intimer: sich mit Tönen, mit den Farben unterhalten, ganz gleich, ob die Farbe von Menschen, Blumen, Natur ausgeht, nur mit den Lust-und Wehgefühlen, die von ihnen in uns schwingen und uns beeinflussen, und von ihnen schreiben. Und das ist ein unabsehbar reiches Material. Ich kombiniere nun nicht mehr Menschen und Geschichten, versuche nicht mehr Charaktere als ein Ich zu schildern; ich bringe nur noch die Erregungen, die von ihrer Farbe, ihrer Sprache, ihrer Äußerlichkeit, ihrer Gedankenwelt (ihre Gehirnfarben nenne ich die Gedanken) auf mich einwirken.
Seit ich so intensiv von der Wohl- und Weheempfindung jeder Farbe, jedes Tones, Geruches beeinflußt werde und sie mir ins Bewußtsein rufe, erlebe ich in jeder Minute leid-und freudvolle Romane, auf der Straße, am Fenster; die Beleuchtung eines Zimmers, das Geräusch im Hofe, die Töne der Drehorgeln und Ausrufer - das ist Wohllust oder Qual...

Eine interessante Frage:

War Dauthendey hochbegabt, ein Synästhet?
Diese Art Sonderbegabung war zu seinen Lebzeiten noch nicht bekannt und erforscht.
Ein Ansatzpunkt für interdisziplinäre Forschung??

Gedichte mit synästhetischen Elementen:
Max Dauthendey - Gedichte über Düfte und Gerüche
Blütenleben - ein Gedicht mit stark impressionistischen Zügen und Synästhesien
Wortwahl: Töne, Farben, Gerüche
Das Gedicht: Drinnen im Strauß als Beispiel für Synästhesie.

Oder: Ein Ausschnitt aus seinem Erstlingsroman Josa Gerth:

"Drüben gleitet die Sonnenscheibe hinter blaue Wolkendämme. Der Himmel weit geöffnet, in ewiger Ferne eine seltsame Welt. Durchsichtige Gletscherrücken. Schwellend, gehäuft voll rosigen Flieder, grüne Malven. Bernsteinadern krampften sich darüber. Aus Rissen und Buchten stürzten Strahlenkeile wie steile Säulen aus Perlmutter. Und in den Wolkengründen gor grünes Gold und zerstäubte zum veilchenrosigen Zenith. Allmählich kroch aschiger Moder über die Silberblüten. Ein Granatlicht ballte sich. Über dem Waldsaum, den Bergflächen, wirbelte es wie Graphitstaub vor Flammen. Aber das Rot stöhnte immer rasender, Blut floß über Himmel und Erde. Es tränkte die grauen Weinbergmauern, bräunte das Grün, und zerfleischte mit wilden, flackernden Küssen das Laub.
...
So hatte sie das Wasser noch nie gesehen, so bunt, so wechselnd. Der Himmel badete all sein Leuchten darin. Ein wei ches Silberblau und rauchdüstres Violett und matte, bleierne Wolkennebel, durchglommen von lüsternem Weinrot, wie Frauenlachen. Aber dann plötzlich blank wie Metallspiegel und nun wieder schillernde, stechende Irisfarben, giftig und tückisch, das ruhige Licht mit wirren Spiegelungen ätzend. Die Sonne sank. Gelbbraune und graue Töne glitten kühl über die Stadt, über den Höhen am Horizont schlang der Abendschein flackernde Rotglut. Zwischen den Bergeinschnit ten quollen Lichtströme von Westen nach Osten und füllten die Täler mit goldenem Dunst und sich müde dehnendem Schattenblau.

...

Über der Stadt qualmten kupferbraune Nebel. Nach Westen der Himmel zartrosig, ein kühles Blaurosa über blaßgraue kleine Wolken zerpflückt. An den Festungsmauern, im Grunde über den Feldern matter schleichender Dunst. Darunter die Farben versengt braungrau, das Weiß mit feuchtem Silberblau belegt. Allmählich tiefte sich das Blau. Das Rot schäumte greller. Aus dem glimmenden Wust preßte sich ein flammendes Knäuel, das Träge zerriß, flackernde Lachen spalteten in flachen Schichten die Nebel, ein Feuerwirbel löste sich goldtriefend, stieg gellend höher, immer goldschmetternder.

Unten in der aschigen Tiefe schwollen und goren die Glocken der Stadt. Vom Lichte gerüttelt, wühlte es und rang sich aus der Glutdämmerung, wogend wie Schwingenrauschen, metallhart wie Schildeklirren, und dann verprasselnd in einer Garbe von Jauchzern.

Josa legte sich dicht an das Fenster und lauschte mit weitgeöffneten Augen dem Farbenschreien. Sie wollte alles einsaugen. Ihr Blick zitterte vor Angst, es könne zerrinnen, eh' sie es innig genossen. Sie küßte ihre rotbeschienenen Hände. Lehnte die Wange an die rotbeschienene Tapete. Einen Augenblick sah sie über ihre Schulter, sie hätte ihn so gerne geweckt, aber sie scheute sich. "

Mehr über Synästhesie und visuelle Wahrnehmung:

Correspondances

La Nature est un temple où de vivants piliers
Laissent parfois sortir de confuses paroles;
L'homme y passe à travers des forêts de symboles
Qui l'observent avec des regards familiers.

Comme de longs échos qui de loin se confondent
Dans une ténébreuse et profonde unité,
Vaste comme la nuit et comme la clarté,
Les parfums, les couleurs et les sons se répondent.

II est des parfums frais comme des chairs d'enfants,
Doux comme les hautbois, verts comme les prairies,
— Et d'autres, corrompus, riches et triomphants,

Ayant l'expansion des choses infinies,
Comme l'ambre, le musc, le benjoin et l'encens,
Qui chantent les transports de l'esprit et des sens.

Charles Baudelaire, 1821-1867, Les Fleurs du Mal

Deutsch von Stefan George:

EINKLÄNGE

Aus der natur belebten tempelbaun
Oft unverständlich wirre worte weichen ·
Dort geht der mensch durch einen wald von zeichen
Die mit vertrauten blicken ihn beschaun.

Wie lange echo fern zusammenrauschen
In tiefer finsterer geselligkeit ·
Weit wie die nacht und wie die helligkeit
Parfüme farben töne rede tauschen.

Parfüme gibt es frisch wie kinderwangen
Süss wie hoboen grün wie eine alm –
Und andre die verderbt und siegreich prangen

Mit einem hauch von unbegrenzten dingen ·
Wie ambra moschus und geweihter qualm
Die die verzückung unsrer seelen singen.

extern:
Intermedialität und Synästhesie (aus: Goethezeitportal)
Synästhesie (wikipedia)
Wie Menschen mit Synästhesie die Welt wahrnehmen
Buch von Eckhard Freuwört: Vernetzte Sinne - Hochbegabung und Gesellschaft

Max Dauthendey in Berlin: Begegnung mit dem Maler Edvard Munch
Gedicht VISION über ein Munch-Gemälde

extern:
Briefwechsel Munch Museum Oslo/Norwegen
Edvard Munch und Annie Dauthendey:
Briefwechsel - Munch Museum Oslo/Norwegen

Panpsychismus
Max Dauthendey und der moderne Panpsychismus (Uni-Bibliothek Heidelberg)