Max Dauthendey - Der werdende Dichter

Der werdende Dichter Das Zeichnen und Malen machte mich nach einiger Zeit stumpf, und es wurde mir überdrüssig. Ich sah ein, daß ich von einer unermüdlichen Lust durchdrungen sein müßte, um meinem Vater zu beteuern, daß ich Maler und nichts als Maler werden könnte, aber ich wußte, daß ich nicht genug Lust zum Malen hatte, und konnte ihn deshalb nicht überzeugen, daß er es aufgeben möchte, mich außer der Malerei ein brotbringendes Handwerk lernen zu lassen. Ich fühlte seit einiger Zeit wohl, daß der stete Hang zum Träumen, zur Versunkenheit und Ergriffenheit, der sich Tag und Nacht in mir immer mehr verschärfte, einen tieferen Grund als den einer vorübergehenden Stimmung haben musste. Aber ich wußte nicht, daß die heilige Dichtkunst sich auf diese Weise in mir vorbereitete. Nie hätte ich gewagt, von der Dichtkunst als Beruf zu sprechen, da ich vor dem Dichten die höchste Ehrfurcht und Scheu hatte, so daß ich mir noch nicht vorstellen konnte, auch nur zu versuchen, Reime zu machen. Denn das fühlte ich, es waren nicht die gereimten Reime, auf die es ankam. Es war der Rhythmus der Ergriffenheit, der in einem Gedicht gegeben werden mußte. Aber daß die Liebesleidenschaft der erste Anstoß zum Liebeslied ist und den Rhythmus im werdenden Dichter gebiert und ihm Mund und Herz öffnet, auf daß sie Lieder singen wie Nachtigallen, die nicht bloß vor dem Mondschein ihre Lieder finden, sondern vor dem Weibchen, das sie an sich locken wollen – das wußte ich noch nicht, und niemand konnte es mir sagen; das mußte ich erst an mir erfahren. Das leichte Jünglingsschwärmen hatte sich noch nicht zu mannhaftem Liebestrieb entwickelt. Wie die Hirsche im Oktober schreien, wenn die Liebeslüste sie kampfsüchtig machen, wie der Auerhahn blindlings sich in einen verzückten Zustand von Liebestollheit frühmorgens vor Sonnenaufgang hineinlacht, wie die Bäume im Mai sich mit Blüten besternen, welche trunkene Wohlgerüche weit um sich verbreiten, als ob sie ihre Liebeslust zur Zeit der Blütenbefruchtung mitteilsam macht und sie Duft und Blütenfarben erfinden läßt, und wie selbst die Wolken Stimme bekommen, wenn sich ihre Elektrizitäten ineinander entladen, wenn sie schwül sich einander nähern, Blitze einander zuwerfen und donnernd sich besingen; wie alles hundertfach lebt, wenn es sich zum Liebesrausch, zum einzigen Lebenszweck, zur Fortpflanzung des Lebens hingerissen fühlt und sich entfacht zu seelischen und geistigen Ekstasen, zum Gipfel der Lebenslust, welcher Liebe heißt – das hatte ich noch nicht an mir erfahren und wußte auch noch nicht, daß dann und nur dann, wenn das Menschenherz liebt und glüht, einem zur Dichtung geborenen Menschen der erste echte Reim, der echte Rhythmus, das echte Lied gelingen kann. Damit ist dann auch seine Geburt zum Dichter ein für allemal vollzogen, und er wird die durchlebte Herzwallung nie wieder vergessen. Denn sie hat sein Herz zum erstenmal aus dem Alltag losgerissen und auf sich selbst gestellt, so daß es dann für immer als ein selbständiges Ich im Weltall Stimme hat,

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