Max Dauthendey - Rennewart - Raubmenschen

Dann zackte sich das Erdreich in der Ferne; zwischen einer Bodensenkung in den Feldern schien von einem Felsvorsprung zu einem andern ein dünnes Seil gespannt zu sein, und auf dem Seil balancierte eine riesige weißfeurige Spinne. Sie hing mit weißen erregten Füßen an dem Seil, und dieses schien leicht zu schwanken. »Der Atlant«, sagte der Kutscher und wendete sich auf dem Bock nach mir um und deutete mit seiner Zigarre auf das Seil und auf die Riesenspinne. Dann verschwand das Ganze, und ich begriff: ich hatte für einen Augenblick die Meerlinie als ein Seil und die Wasserspiegelung als eine weiße Spinne und den Atlant gleich einem Gespenst auftauchen und verschwinden sehen. Dann bekam ich nach einer Weile eine lange ferne Mauer im Westen zu sehen, eine graue, gläserne Mauer. »Der Atlant«, sagte wieder der Kutscher, als ich fragte. Die Straße ging an einer großen Windmühle vorüber, an eidottergelben blühenden Rapsfeldern, die so nüchtern gelb waren, daß ich meinen nüchternen Reisemagen noch hohler und nüchterner fühlte; ein paar riesige Bäume standen wie schiefgewehte Schilfhalme schräg auf dem horizontalen dunkeln Acker, als beuge eine unsichtbare Hand die großen Bäume. Und auch hier fühlte ich an den schiefen Stämmen die Kraft des Atlant, vor dessen Sturmlungen diese Bäume sich ihr Leben lang nicht aufzurichten trauten. Auch wenn der glänzende Gott Okeanos mit glattem Wasserkörper in der Sonne schlief, blieben die Bäume in langen Reihen wie in einer ewigen Flucht, vor der Sturmmacht des Gottes entsetzt, mit fliehender Astbewegung und schief gebeugten Kronen und Stämmen, gleich einem Haufen fortstürzender Riesen. Und es malten sich die Gebärden der gequälten Bäume schreckerregend auch in der Windstille, wie umgeben von unsichtbaren Sturmungeheuern, wie umklammert von den toten Grimassen verschollener wilder Ozeannächte; als hätten erhenkte Riesen, deren Leiber von den schiefen Bäumen später abgeschnitten worden wären, die Bäume im Todeskampf verdreht und zur Erde gebogen. Die große Windmühle, an der ich zuletzt, ehe ich die ersten Häuser von Pouldu erreichte, vorüberkam, ging ihren Geistergang langsam in der Spätnachmittagluft, langsam, wie ein Rieseninsekt, das sich überschlug, sich aufrichtete und wieder überschlug. Und gerade unter den kreiselnden Armen der in die Luft fechtenden Mühlenfigur hielt der Kutscher einen Augenblick meinen Wagen an. Er rief ein paar Worte über eine Dornenhecke, dahinter die unglücklichen verstürmten schrägen Baumungeheuer dunkel vor dem Ozeanlichte standen. Das Ozeanlicht, das, weiß am dunkeln Feldrand, wie aus einer Versenkung herauf an die Bäume, an die Wolken, und von unten an die Blätter der Rotdornhecken schien, beleuchtete eine Frauengestalt. Die wurde von dem Licht in die Länge gezogen, von dem unheimlichen Licht, das aus den Ackerfurchen aufzustrahlen schien wie das lange Licht eines Scheinwerfers, der aus irgendeiner Erdspalte von unten in den Himmel strahlt. Die langgezogene weibliche Gestalt rief dem Kutscher eine Antwort zurück. Ihr langer Schatten kam zuerst in meinen offenen Wagen über das Feld zu mir her. Als die Frauengestalt noch weit entfernt im Feld heranlief, eilte ihr Schatten schon, gleich einem der schräggestellten ungeheuern Bäume, weit übers Feld voraus. Eine junge Dame stand dann nach einer Weile atemlos am Wagen, trat auf das Trittbrett und saß dann neben mir. Der Wagen fuhr mit uns beiden weiter, ohne daß die Dame mich begrüßt hätte; kaum daß sie mit dem Gesicht dem Kutscher zugenickt hatte, ehe sie eingestiegen war. Ich rückte ebenso weit von ihr weg, wie sie von mir. Sie lehnte in der einen Wagenecke, ich in der andern. Die Räder rasselten wieder ohrenbetäubend, und der Wagen hopste über die Steine.

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