Max Dauthendey - DrMayer - Raubmenschen - Rennewart

181 Dieser ist – dem Erzähler nach – der erste von Rennewarts Romanen. 501 Als interessant erscheint, dass der Erzähler im Vorwort auch die Intention des Romans beziehungsweise sein inhaltliches Programm angibt: Kein schriftstellernder Europäer war in die damaligen europäischen Zustände so eingeweiht wie Rennewart, keinem seiner schreibenden Zeitgenossen wurde Europa durch sein Schicksal so von allen Seiten beleuchtet wie ihm. […] In Mexiko und in der Liebe zu dieser Ausländerin, zu einer Fremden aus einer fremden Rasse und Erdteil, entdeckte Rennewart zum erstenmal den Euro- päer in sich, und er gewann jenseits des Atlant, getrennt von „Mutter Europa“, zum erstenmal einen Überblick über den alten Heimatkontinent. 502 Wurde zuvor erwähnt, dass der Roman eine Reise sowie eine Auswande- rung nach Mexiko durchspielt, steht diese Passage dem entgegen. Bereits im Vorwort formuliert der Text, dass es nicht um Mexiko, sondern um Europa geht. Rennewart gelangt erst aus der Distanz zu einer umfassenden Wahr- nehmung Europas. Die europäische Wahrnehmung verlegt sich in dem Roman demnach nicht auf das oder die Fremde, sondern die europäische Wahrnehmung nimmt Europa wahr – ein Muster, das im sechsten Kapi- tel noch in weiteren Ausprägungen analysiert werden soll. Der Ansatz von Wolfgang Reif, der den Roman als eskapistischen Roman einordnet 503 , über- sieht dieses Vorwort und die damit einhergehende Reflexionsrichtung der Narration. Der angebliche Eskapismus der Handlung relativiert sich damit bereits im Vorwort. Nach dieser Richtungsbestimmung durch den Erzäh- ler erscheint es notwendig, Rennewarts Wahrnehmung zu untersuchen. In diesem Abschnitt soll zunächst das Schema der Fremdheitskonstruktionen näher betrachtet werden. Die Handlung des Romans beginnt in Europa vor der Überfahrt nach Amerika. Rennewart bezeichnet das Schiff „Prinzregent“ als „Riesen­ schneckenhaus“ 504 und führt damit sogleich eine Aporie des Reisens und Auswanderns ein, die das Schema des Eskapismus wiederum aushöhlt. Die „Schnecke“ muss sich nicht auf ein Fremdes einlassen, da sie ihr „Haus“, das 501 Vgl. RM, S. 9. 502 Ebd. 503 Vgl. Reif: Zivilisationsflucht, S. 48f. 504 RM, S. 53. Die Aporien der europäischen Wahrnehmung

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