Max Dauthendey - Würzburg Büttnergasse 2

Würzburg - Büttnergasse 2 Kindheitserlebnis von Max Dauthendey ...Entweder waren wir zur Dämmerstunde in dem Wohnzimmer oder im Atelier, das nach dem Main und dem Festungsberg hinaussah. Der goldene Abendhimmel glänzte im Flußwasser, und die figurenreiche Brücke und der turmreiche schwarze Ausschnitt der Marienburg auf dem Festungsberg, wie mit undurchdringlichen Geheimnissen beladen, schauten uralt über den Fluß herüber. Im klaren Abendhimmel stand manchmal die feine Mondsichel, von der ich glaubte, daß sie und die Sterne, die jetzt einzeln aufblitzten, genau wüßten, wo meine Mutter sei. Denn mein Vater hatte gesagt, die Mutter sei jetzt oben bei den Sternen. Und wenn wir im Wohnzimmer saßen und der Vollmond über den winkeligen Ziegeldächern der Nachbarhäuser auftauchte, dann betrachtete ich besonders genau den Stern, der immer in der Nähe des Vollmondes steht und von dem mir einmal ein Dienstmädchen gesagt hatte: »Wenn der Stern auf den Mond fällt, dann geht die Welt unter.« Zuweilen schien es mir, als ob der Stern ein klein wenig näher an den Mond gerückt wäre, und ich erwartete den Weltuntergang mit gruselndem Vergnügen, ungefähr so, wie alle Kinder in der Büttnersgasse im Frühjahr sich auf das Hochwasser freuten, wenn es angemeldet worden war. Als ich aber meinen Vater einmal über den Weltuntergang zu Rate zog, zerstörte er mir gründlich alle heimlichen Hoffnungen. Er erklärte mir, daß die Erde Millionen Jahre bestehe und wahrscheinlich Millionen Jahre bestehen werde, daß unsere Erde vor Millionen Jahren von der Sonne fortgeschleudert worden sei und vielleicht einmal wieder zur Sonne zurückkehren werde. Bei dieser Gelegenheit horte ich auch von ihm, daß Gott kein Mensch sei, der auf einer Wolke im Himmel sitze und nur auf die Menschen aufpasse, sondern die ganze Welt sei Gott selbst. Jeder Mensch sei ein Stück von Gott, die Bäume, der Main, das Feuer im Herd, auch unser Hund, sogar jeder Pflasterstein in der Büttnersgasse. Außerdem horte ich noch, daß die Erde auch einmal feurig gewesen sei wie die Sonne, und im Innern der Erde gäbe es noch Feuer. Das war eine ganz unerwartete Offenbarung, und ich sah meinen Vater beinahe für einen Heiligen an, weil er wußte, daß im Erdinnern Feuer sei. Er hatte gesagt, wenn man senkrecht in die Erde bohrt und man weiter und weiter bohren würde, würde man zuerst auf Wasser und dann auf vieles Feuer stoßen. Er erzählte mir dieses einmal beim Mittagessen. Und der gruselnd aufregende Gedanke, daß ich vielleicht Wasser und Feuer aus der Erde herausgraben konnte, machte mir den Kopf ganz heiß. Kaum war mir die Serviette von einer meiner Schwestern vom Hals abgenommen, so verschaffte ich mir aus dem Werkzeugkasten meines Bruders, welcher dieselbe Vorliebe für Mechanik und Photographie hatte wie mein Vater, einen langen Nagel, eilte auf die Büttnersgasse hinunter und begann, um einen Pflasterstein herum die Erde herauszukratzen. Ich glaubte nicht anders, als daß ich unter dem Pflasterstein schon aufs Feuer stoßen würde. Als ich endlich den Stein ein wenig bewegen, aber unmöglich heben konnte und ich mir die Finger blutig geschunden hatte, mußte ich einige Knaben herbeirufen, die in der Nähe spielten und die mir den Stein heben halfen, nachdem ich ihnen versichert hatte, ich wüßte, daß unter

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