Max Dauthendey - Würzburg Büttnergasse 2

dem Pflasterstein Feuer sei. Endlich hoben wir den Pflasterstein zur Seite. Da war nur Sand und unter dem Sand kotige schwarze Erde, darin sich ein Regenwurm drehte. Die Knaben sahen mich an und fragten, wo das Feuer sei. »Ich weiß es ganz bestimmt, daß Feuer unter der Erde ist«, versicherte ich wieder. »Grabt nur weiter. Ich will schnell mal hinauflaufen und meinen Vater fragen.« Am Abend mußten wir den Pflasterstein wieder auf seine Stelle wälzen. »Zum Feuer kann man nicht mit den Händen kommen«, hatte mir mein Vater erklärt, als ich mit meinen erdschwarzen kleinen Fäusten vor ihm stand und ihm erzählte, daß wir das Erdfeuer in der Büttnersgasse suchten. Zugleich empfahl er mir an, die Straße wieder in Ordnung zu bringen. Die andern Knaben hatten inzwischen mehrere Steine herausgerissen. Es machte ihnen gar nichts, daß kein Feuer da war. Sie hatten sich beim Herausreißen der Steine sehr gut unterhalten. Aber das Wiedereinsetzen derselben mußte ich allein besorgen. Davon wollten sie nichts wissen und liefen davon. Nur die kleinen Mädchen auf der Straße, die dem Ganzen zugesehen hatten, halfen mir bei der Pflasterarbeit. Und sie wie auch ich glaubten nach wie vor fest daran, daß Feuer in der Erde sei, so wie es mein Vater gesagt hatte, wenn sie auch keinen Beweis, den sie wie die Knaben erwarteten, bekommen hatten. Die Mädchen in der Büttnersgasse, die mit uns Knaben in den Sommerabenden auf den Haustreppen spielten, glaubten überhaupt an so wunderbare Dinge, an die nicht einmal mein Vater glaubte: an Hexen, die auf Besenstielen durch die Luft ritten, und an die Hölle, in der man auf Stecknadelstühlen saß und eiserne Klöße aß. Ich verstand meinen Vater nicht, warum er nicht auch an diese wunderbaren Dinge glauben wollte, die eigentlich ebenso wahr sein müßten wie das Feuer unter der Erde, zu dem man ja auch nicht mit den Fingern kommen konnte. Es schien mir da etwas im Herzen meines Vaters nicht in Ordnung zu sein, und ich glaubte ebenso gern an Hexen und Hölle, von denen mir die Mädchen auf den Straßen erzählten, wie ich gern an Dornröschen, Schneewittchen, die sieben Zwerge, an den Däumling und an Andersens kleine Seejungfrau glaubte. Und so wunderbar es war, das Erdfeuer, an das ich natürlich auch fest glaubte, sich vorzustellen, weil es gegen alle Alltäglichkeit, gegen alles Gewohnte abstach und unter dem Erdboden lebte und hervorbrechen konnte, ebenso wunderbar, aber auch beinahe wehmütig stimmend, war mir immer das Bewußtsein, daß es Strahlen geben sollte, die ultraviolett genannt werden, die nie ein Mensch sehen konnte, die da im Weltraum sich vergeblich bemühten, sich unserem Auge bemerkbar zu machen; Strahlen, die uns beschienen und die wir nicht sahen, die uns berührten und die wir nicht fühlten, vor denen wir Menschen alle zusammen Blinde waren, Blinde mit sehenden Augen. Aus: Der Geist meines Vaters (gekürzt)

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