Max Dauthendey - Mein Lebenslauf 90er Jahre

anderen den scheinbar Lebensunbeholfenen und scheinbar Lebensblöden bescheiden und anspruchslos und möglichst verzichtend haben wollen, da er von seiner inneren Welt reichlich entschädigt sei, wie sie triumphierend behaupten. Als ob jeder Künstler die äußere Welt nicht immer reichlich nötig hat, um zur inneren zu kommen! Der Gedanke, daß ein Dichter nur eine Dachkammer benötige, und daß nur die Not ihm Dichterträume gibt, lebte besonders zur Blütezeit der alten Weltanschauung eingewurzelt im deutschen Volke. Heute ist es aber bereits besser geworden, wenn auch die Dichter noch lange nicht vom Staat Pfründen beziehen wie die Kirchenbeamten oder Gehälter wie die hohen Staatsbeamten. Und doch wäre dieses eigentlich selbstverständlich, denn der Dichter, der Maler, Bildhauer und Musiker, sie sind die höchststehenden geistigen Beamten des Staates, und sie sind durch ihr Schaffen neuer geistiger Güter höher an Würde und Rang als die größten politischen Führer jedes Volkes. Die Künstler sind die reichsten Festgeber des festlichen Daseins der Menschheit, und dafür hat ihnen jeder Staat zu danken. Ich setze diese Erklärung und Verteidigung der Künstler hierher, weil ich eben jene Zeiten erlebt habe, in denen Gedicht und junge Dichter bei der menschlichen Gesellschaft niedriger im Wert standen als im Mittelalter die Scharfrichter und ihr Handwerk. Aber wer gründlich verachtet wird wie der Henker, dem wird doch noch von den anderen ein volles Gefühl zuteil, das Gefühl des Abscheus.

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