Max Dauthendey - Auf dem Weg zu den Eulenkäfigen

Bei jedem neuen Erlebnis ihres Mannes hoffte Claudia, es würde das letzte sein. In jener Zeit war es einmal, daß ihr die Geduld plötzlich riß und sie ein Messer nach Dagon schleuderte, das in der Tür stecken blieb. Und endlich mußte sie erkennen, daß ihres Mannes Seele, wenn sie nach ihr griff, immer ihrer Hand entglitt, so wie man den feinen Wüstensand nicht in der Hand behalten kann; denn wenn man die Faust zudrückt, rieselt dieser ewig bewegliche und ewig erhitzte Sand durch die Fingerritzen, und wenn man die Faust öffnet, hat man nichts in der Hand. So war das Herz Dagons in der Hand Claudias. Wenn sie es noch eben festhielt, – es war nicht mehr da, wenn sie die Hand öffnete und nachsah. Darüber wurde ihr eigenes Herz dürr. Es wurde von den Leiden und Schmerzen und von der Leidenschaft versüßt wie getrocknete Datteln, die zuckriges Fleisch um einen steinharten Kern tragen. Den Stein in Claudias Herzen löste nichts auf. Der Stein saß im süßen Fleisch unbeweglich, und das süße Fleisch welkte und dörrte. Da wurde eines Tages Claudia von Verzweiflung gepackt. Ich war damals nicht in ihrer Nähe und hörte nur aus Briefen meiner Freunde, daß jene Frau ihrem Mann Gleiches mit Gleichem vergolten und sich einen Freund genommen hatte, einen jungen Kaukasier, mit dem sie fortgereist war, um ihre gereizten Gefühle zu beschwichtigen. Später hörte ich, daß sie diesen Freund wieder verlassen, ihr und Dagons Kind zu sich genommen habe und in verschiedenen Weltteilen allein herumreise. Sie hatte nach dem Tode ihrer Mutter ein Vermögen geerbt, und da ihr die Arbeit keine Freude mehr machte, lebte sie in dem Genuß des Müßiggangs. Die Liebeslust und die Arbeitslust waren in ihr abgetötet. Sie lebte dem Kinde, das sie fernhalten wollte von dem Unheilschatten jenes Mannes, dem sie glaubte entronnen zu sein. Er aber lebte wie ein Junggeselle, bald hier, bald dort, in den verschiedensten Städten, vertiefte sich in Wissenschaften, wie er sich in Frauen vertiefte, hastig, blendend und geblendet. Dann plötzlich eines Tages, als ich in jene Großstadt kam, wo Claudia und Dagon vorher gewohnt hatten, hörte ich, daß beide wieder zusammenlebten. Ich besuchte sie. Da hingen im Korridor große welke Kränze mit langen breiten Seidenbändern. Dagon glaubte plötzlich eine musikalische Begabung bei sich entdeckt zu haben und hatte öffentlich eigene Kompositionen gespielt und seine ersten Konzerte gegeben. Seltsamerweise hatten alle Wohnungen, welche jene beiden Menschen bewohnten, den gleichen hellen und lichten Reiz eines glücklichen Heims. Niemand konnte in diesen weiten, behaglichen und lässig vornehm eingerichteten Räumen vermuten, daß hier zwei hausten, die sich marterten. Beider Zartfühligkeit traf sich hier und vereinigte sich im Ausdruck von Möbeln, Spiegel und Bildern. Die innere Zartfühligkeit Claudias gab den Räumen vornehme Ruhe,

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