Max Dauthendey - Über Sprache

«Sehnsucht» sein. Und ich hatte die jedenfalls etwas waghalsige Kühnheit, an die Spitze meines Dramas, als ich es schrieb, die Worte zu stellen: «Die Bühne stellt das Gehirn eines Menschen dar.» Die eilige Kritik, welche heutzutage den Dichtern ihren Wert schnell zu- oder abspricht und sie bei Lebzeiten schon untereinander in Rangordnungen dem deutschen Volke vorführt, und die nicht Rücksicht nimmt, ob der Dichter jung ist und sich entwickelt, sondern die ihn mit fünfundzwanzig Jahren vielleicht sogar an toten Dichtern mißt, welche achtzig Jahre geworden sind – diese hastige Kritik, die in dieser erstaunlich voreiligen Weise an den lebenden und sich entwickelnden jungen Dichtern oft schweres Unrecht begeht, konnte mir dann zwanzig Jahre hindurch diesen Jugendausspruch nicht verzeihen: «Die Bühne stellt das Gehirn eines Menschen dar.» Und man frischte diesen Satz in unzähligen Kritiken über mich jedes Jahr wieder auf. Meine zukünftige Welt, die ich in mir täglich weiterbildete – und deren erste Anfänge mir heute noch ebenso heilig sind wie damals, weil sie ehrlich und echt gemeint waren und nicht aus Verblüffungssucht entstanden – hat man verhöhnt und verlacht, und man hat nie einen Augenblick daran denken können, daß alles, was ich damals schrieb, begründet war von dem Drang, eine neue Weltanschauung in der Dichtung zur Geltung zu bringen. Alle diese jungen Versuche aber zielten auf die Schöpfung einer mir eigenen Lyrik hin, die ich doch erst später geben konnte. Den Dichter kann man nicht anspornen zum Blühen und ihn nicht hindern, wenn seine Dichtung blüht. Man kann nur die natürliche Verbindung zwischen Leserkreis und Dichter zeitweilig schädigen. Max Dauthendey: Gedankengut aus meinen Wanderjahren Verlag Albert Lingen, München, 1913

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