Max Dauthendey - Rennewart - Raubmenschen

Dann wechselten plötzlich die Bilder. »Der Basarbrand. Die Brandkatastrophe von Paris,« sagte die Schrift, die auf der Bühnenwand erschien, »photographiert während des Brandes bei der Beleuchtung des elektrischen Scheinwerfers der Feuerwehren von Paris.« Ich fuhr auf meinem dunkeln Sitz zusammen. Nein, ich wollte das nicht sehen; das anzuschauen, das war unmöglich für mein erschüttertes Herz. Ich schloß die Augen. Aber als ich sie wieder öffnete, stand eine neue Inschrift an der Wand: »Fliehende, die brennend aus dem Feuerherd auf die Straße springen, um sich zu retten.« Ich behielt die Augen offen und starrte erschrocken auf die Lichtbilder, die jetzt erschienen. Männer, mit den Spazierstöcken in die Luft schlagend, über gestürzte Frauen hinwegspringend; Kinder, von Feuerwehrmännern aus dem brennenden, qualmenden Bretterausgang des Basars herausgezerrt. Da – Hanna – sie zieht eine brennende Dame nach sich, die Herzogin von L.; Feuerwehrmänner umfassen die Herzogin, die sie in Tücher wickeln, indessen Hannas Haar als eine Rauchsäule vor meinen Augen emporweht. Sie schlägt nach den Flammen, die an den Falten ihres Kleides wimmeln, und die sie nicht ersticken kann... Mein Hals wird wieder so trocken wie damals, als mir der Gesandte in Mexiko die Zeitung zu lesen gab, worin ich Orlas Ermordung angezeigt fand. Aber außer der Trockenheit im Halse und außer meinem stockenden Herzschlag fühlte ich nichts Schlimmeres an mir. Ich saß und starrte nur – und sah Hannas Erscheinung an. Stundenlang saß ich im dunkeln Theater und wartete auf die Wiederkehr des Brandbildes. Acht Tage ging ich täglich, mittags und abends, in alle Kinematographentheater von Paris. Die Sucht, Hanna zu sehen, von Hanna Abschied zu nehmen, trieb mich jeden Tag von neuem in die dunkeln, grabdunkeln Theater, wo ich heimlich weinen und mein Taschentuch vor das Gesicht halten und meinen Tränen freien Lauf lassen konnte, und dann ging ich in mein Zimmer, das ich mir in einem Privathaus gemietet hatte. Es war kein eigentliches Zimmer, es war ein leeres Maleratelier, darin stand nur ein langer Strohstuhl zum Liegen und ein Tisch, darauf hatte ich den kleinen Phonographen stehen, den mir der Herzog abgesandt hatte. Das Atelier lag in einem leeren Hinterhaus, und dort konnte ich lange Maiennächte hindurch den kleinen Phonographen das Lied singen lassen – von Hanna: – »Tod, eile dich! Die Sonne steht am Fenster dort, bald kalt, bald heiß, Doch um mich ging die Nacht nicht fort, die Nacht nicht wich. Ist auch der Tag wie Silber weiß, wie Silber weiß, Seit ich den Liebsten ließ, wer tröstet mich? Tod, eile dich!« – So erlebte ich Grausameres, als jemals erlebt wurde. Die Geliebte zu hören, ohne ihr antworten zu können; die Geliebte zu sehen, ohne sie umarmen zu können; die Geliebte verbrennen zu sehen, ohne ihr helfen zu können! – Täglich wieder ein totes Leben aufwachen zu sehen in Rede und Bild, ohne diesem Leben einen Körper geben zu können – das war eine Hölle voll Himmel und ein Himmel voll Höllen. Als das Theaterprogramm des Kinematographen wechselte, kaufte ich mir den Film der Brandkatastrophe. Ich wollte in mir selbst in dem kleinen Atelier vorführen. Ich weiß nicht, ob ich nicht allmählich irrsinnig geworden wäre vor diesem täglichen lebenden Spiegelbild und von dem Geisterlied einer Toten. Das Schicksal half mir indessen, indem es mir den Phonographen und den Film nahm. Eines Tages, als ich wieder das

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