Max Dauthendey - Lingam

immer traurig war. Hinter ihm strahlte der Kirschblütengarten im grauen Regentag wie in rosa bengalischer Beleuchtung. Der Luftzug des Abends trieb ein Blütengestöber in das Haus, so daß es auf einmal nicht mehr leer schien. Die Fremden, die den ganzen Nachmittag die Bergstraße heraufgefahren waren, kehrten jetzt um, und als die letzte Rikscha den Berg hinunterrasselte, saß der alte junggeschminkte Ozuma immer noch hinter seinem Aschentopf und rührte sich nicht. Er ist eingeschlafen, sagte das Auge des Wirtes drüben im Teehause zum Auge der Wirtin, und sie blinzelten einander zu und verstanden sich. Wir wollen warten, bis er aufwacht, antwortete die Wirtin ihrem Mann, indem sie sich auf eine der rotwollenen Decken niederkauerte und sich ihre kleine Pfeife anzündete. Der Wirt tat, wie seine Frau wollte, und hockte sich neben sie, und beide rauchten schweigend und hüteten sich, die Asche am Aschengefäß laut auszuklopfen, um den Nachbarn Ozuma nicht zu wecken. Und nun geschah etwas, was niemand weiß, niemand gesehen hat als nur ich, der ich euch das erzähle. Der junggeschminkte Ozuma stand plötzlich auf und kam über die Straße herüber in das Teehaus; seine Augen knisterten vor Vergnügen, als er zu der Wirtin sagte: »Mondscheinchen, du sollst tanzen wie früher.« Die alte Wirtin lispelte etwas, das war leiser als das Grasrascheln. Sie stand verschämt auf, von ihrem Blut verjüngt beschienen wie ein Kirschgarten, und sie hob den Saum ihres Kleides ein wenig über die Fußspitze hinauf und begann zu tanzen, aber der Wirt, ihr Mann, stand gelb im Gesicht wie ein Büschel brennendes Bambusstroh da und trat zornig dazwischen und sagte: »Das ist mein Weib und nicht deines, Ozuma. Mein Weib tanzt nicht mehr für dich, auch wenn du ihr alle Schildkrötenschalen aus dem Nagasakiwasser in Gold gefaßt zu Füßen legst. Scher dich fort, Ozuma, ich teile mein Weib nicht mit deinem Geldsack.« Ozuma aber klatschte in die Hände, dreimal, da kamen sechs Kulis hinter der Hausecke vor und warfen dem Wirt Holzasche in die Augen, banden ihn und legten ihn mit dem Gesicht auf den Boden, damit er nicht zusähe, wie seine Frau vor Ozuma tanzte. Ozuma sog begierig die Luft ein von dem Haar, von der Haut und von dem Seidenkleid der Frau. Aber er beherrschte sich und bat um nichts weiter als um die Nelke, die die Frau im Haar trug. Die Frau aber verweigerte ihm die Blume und sah Ozuma nicht mehr an. Da stand Ozuma auf und legte einen Beutel mit Gold, einen Schmuckkasten aus Schildkrot und eine weiße Korallenkette auf die Strohmatte neben den gebundenen Wirt. Ozuma selbst band dann den Mann los und sagte klagend zu ihm: »Erschlage mich, Nachbar, ich liebe deine Frau, aber sie liebt mich nicht.« – Der Wirt rieb sich die Asche aus den Augen und sagte: »Sie liebt dich nicht, Ozuma, darum sollst du leben, hundert Jahre und mehr leben und dich nach ihr totsehnen. Nimm nur dein Gold, deine Geschenke, ich erschlage dich nicht, nicht um alles Gold in der Welt.«

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