Max Dauthendey - Im blauen Licht von Penang

Im blauen Licht von Penang Die malaiische Kurtisane Gabriela Tatoto, die in der Frühlingszeit auf englischen Dampfern in der Malakkastraße und im Chinesischen Meer von Penang bis Hongkong reiste, lebte im Sommer ausruhend in ihrer Villa in Penang. Ihr Haus lag wie ein einziger weißer Saal in einem tiefen Rosengarten. Statt der Blumenbeete standen mannshohe bläuliche Porzellanvasen in langen Reihen am Gartengitter entlang, gelb- und rotgefleckte Tigernelken wuchsen in Sträußen aus den Vasen. Schlanke Wandererpalmen mit pechschwarzen Fächerblättern brüsteten sich wie finstere Pfauen rund um die weiße Villa. Ein scharlachblühender Elektrinenbaum spreizte sich am Garteneingang. Das rote Gekröse der Blüten in der Luft leuchtete blutig wie die Schlachtbank eines Metzgers. Der Garten schien das Seelenleben der Kurtisane in seinen Farben zu spiegeln. Mit der Künstlichkeit der Porzellanvasen, mit der Düsterkeit der Wandererpalmen und mit der rücksichtslosen, lüsternen Röte der Elektrinenbäume erinnerte er an seine Besitzerin. In Penang herrscht über allen Dingen, über den Kalkwänden der Häuser, über den breiten Blattflächen der Palmen und über der Haut der Menschen ein ewiges blaues Licht. Immer ist eine Bläue dort über allem, wie ein beständiger Mondschein mitten im Sonnenschein. Das blaue Licht von Penang ist wie der bläuliche Schimmer einer unsichtbaren elektrischen Bogenlampe, ist über den Springbrunnen der Gärten, über den Pflastersteinen, über den Wasserspiegeln des Meeres und selbst über den Panzerplatten der vorüberfahrenden Kriegsschiffe gleichwie ein Phosporleuchten mitten am Tage. Und die Bläue macht den Muschelkalk der Häuser transparent, als könnten die Menschenschritte hier durch die geisterhaften Wände gehen, als wäre die Stadt nur ein bläuliches unwirkliches Schlafbild mitten unter der wachen Tropensonne. Niemand hat das bläuliche Licht von Penang jemals erklärt, aber es ist immer da, und die eingeborenen Photographen malen selbst auf die Ansichtskarten, auf Gesichter und Landschaften diesen Mondschein im Sonnenschein. Auch Gabriela Tatotos weißes Landhaus lag im Gartengrün mitten am Tag mit mondblauen Wänden, die wie zu stark gebraute Wäsche leuchteten. Der malaiische Photograph Fuluo Holongku in Penang hatte dieses Haus schon dutzendfach auf Ansichtskarten mit zarter Bläue bemalt, denn die Kurtisane schenkte gern ihr Hausbild mit Gartenansicht an ihre Freunde. Aber niemals verschenkte sie ihr eigenes Bild. Sie fürchtete sich, abergläubisch wie alle Asiaten, vor dem bösen Blick fremder Augen – vor bösen Augen, die ihr Schaden bringen würden, und vor bösen Wünschen, die sich auf ihr Bild richten könnten. Nur einmal hatte sich Gabriela von Holongku photographieren lassen. Aber als er die Bilder ablieferte und sie ihr Gesicht dutzendweise vor sich sah, erschrak sie, geriet in Angst und verbrannte noch am Abend alle Bilder mit eigener Hand. Der Photograph Holongku besaß trotzdem ein Bild von der Tatoto, ein Bild, das die Kurtisane nackt zeigte und das sie selbst noch niemals gesehen hatte. Holongku trug dieses heimliche Bild in das Futter seines

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