Max Dauthendey - Auf dem Weg zu den Eulenkäfigen

Er ist liebenswürdig, spaßhaft; er ist nie mürrisch. Er ist nur launenhaft verschlossen, wo er sich fürchtet zu sprechen, weil er sich bei aller lächelnder Offenheit nie ganz offen gibt. Seine lächelnde Offenheit ist ein Abgrund, in den er die Offenheit der andern hineinlockt. Und er sieht lächelnd zu, wie Menschen in diesen stürzen, die er angelockt hat. Er lächelt und gleitet über die Angstblicke, die er sehen müßte, hinweg. Welches ist das Schicksal, das ihn ereilen wird? Wo ist die Grenze, die seiner Unendlichkeit im Grausamsein gesetzt ist? Seht, dieses sind die Blicke, die als einziges Leben aus den Augen Claudias starren. Will sie sein Ende erleben, und ist sie deshalb noch nicht gestorben? fragte ich mich. Das ungeheuerliche Ende, die ungeheuerliche Todesstunde, die in der Brust Dagons das lächelnde Herz voll Ungeheuerlichkeiten töten wird, die ihm und sein allesverschlingendes Lächeln aus der Welt schaffen wird, – wartet Claudia darauf? – Als wir zu den Eulenkäfigen kamen, trug ich diese letzte Frage in mir. Da saßen wie seltsame weiße und graue Federgruppen die Eulen, diese weichen, lautlosen Nachtgeschöpfe, auf den Ästen abgestorbener Bäume hinter den Gitterstäben. Einige konnten die Köpfe ganz rund um den Nacken drehen. Andere spitzten die katzenartigen Ohren. Aber alle saßen da wie ausgestopfte Federbälge. Die einen hatten wunderbar silberweißes Gefieder, und es wirkte jeder weiße Vogel wie eine einzige ungeheuerliche Riesenschneeflocke. Andere graue Eulen waren wie ein dicker Ballen Spinnweben. Und wenn sie nicht manchmal die Köpfe rundum gedreht hätten, so daß das Gesicht nicht auf der Brust, sondern plötzlich auf den Rücken stand, so hätte man in ihnen kein Leben vermutet. So sahen die Eulen aus, als wir von weitem an die Käfige kamen. Aber als wir nähertraten, da verschwanden die Federkörper. Da standen nur in der Luft über den abgestorbenen Baumästen paarweise ungeheuerliche schwarze Augen. Augen, die so groß und rund in ihrer Schwärze starrten, als müßten sie alles und nichts sehen; als könnten sie die Tiefe des ganzen Weltalls umfassen, alle Schmerzen und alle Trostlosigkeiten der Abgründe des Lebens. Während sich alle meine Freunde beim Näherkommen über die Federn, die Haltung, die Kopfwendungen der Eulen ereifert hatten, wurden sie jetzt stumm. Und nur Claudia, die vorher stumm gewesen war, als wir die Eulen zuerst erblickten, wurde jetzt vor den Eulenaugen laut und begeistert. »Haben diese Vögel nicht die schönsten Augen der Welt? Da sprechen die Menschen immer von glotzenden Eulenaugen, und ich finde, es sind die feierlichsten, ausdrucksvollsten, geheimnisreichsten und schicksalsschwersten Blicke, mit denen nur je ein lebendes Wesen auf die Welt herabsehen kann. Solche Augen möchte ich haben,« setzte Claudia hinzu. »Wie ich diese Tiere um ihre Augen beneide! Auf was warten sie nur, diese Eulenaugen?« –

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