Max Dauthendey - Der Geist meines Vaters
in den anderen Gräbern sehe ich im Geist tote Menschen liegen. Aber wenn ein Trauernder in der Ferne auf den Friedhofwegen daherkommt, an einem Grabe stehenbleibt und, so wie ich, seine Verstorbenen besuchen will, dann fühle ich; auch die anderen, wenn sie an ihre Gräber treten, können keine Angehörigen sich ins Grab hineindenken. Die Toten sind auferstanden aus jedem Grab, sobald an dasselbe ein Trauernder ehrfurchtsvoll hintritt. Ach, aus diesen kleinen Erdenzellen, die da in langen Reihen, in unzähligen Straßen durch den Kirchhof nebeneinander eingegraben sind, strömen aus jeder Zelle Welten von Erinnerungen. Die kleinen eingezäunten Blumenäckerlein enthalten oft Königreiche und Weltteile voll lebender Erinnerungen. Auf unserer Grabtafel lese ich, in goldenen Buchstaben, St. Petersburg 1837 am 11. Mail An einem Maitag an der Newa, als die Sonne auf der goldenen Kuppel der Isaakskathedrale glänzte und das Newawasser die letzten Eisschollen aus dem Ladogasee zur Ostsee hintrieb, wurde meine Mutter geboren. Sie war ein Kind deutscher Kolonisten, die zur Zeit Peters des Großen aus Süddeutschland, aus Hanau, kamen und sich in Petersburg niederließen. Die Eingewanderten waren ihrem Beruf nach Wollenweber und Orgelbauer. Ich selbst hörte noch im Jahre 1889, als ich zum ersten Male in Petersburg war, eines Sonntags in der holländischen Kirche dort die Orgel, welche mein Urgroßvater mit seinen Händen gebaut hatte.
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